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Agil ist modern. Kann Agilität "befohlen" werden?

Aktualisiert: 14. Apr. 2023


Agilität ist längst mehr als ein Modewort. Agilität ist aber auch mehr als nur ein Framework oder ein Sammelsurium an Methoden. Viele Organisationen und Teams machen sich auf den Weg zu neuen Formen der Zusammenarbeit und fordern von ihren Mitarbeitenden einen agilen Mindset.


Agile Mindset: Das hat mit den Menschen zu tun. Warum gehen gerade sie dabei vergessen?

Ich habe bei vielen meiner Kunden festgestellt, dass zwar moderne und in irgendeiner Form "agile" Methoden und Frameworks entwickelt, implementiert und manchmal sogar übergestülpt werden, dabei aber die Menschen vergessen gehen. Die Aufforderung "so, jetzt sei mir mal agil!" ist in etwa so, wie der Apell "jetzt sei doch mal lustig!" oder "komm, sei mal spontan!". Das ist aus meiner Sicht ein sehr mechanistisches Menschenbild und wird der menschlichen und individuellen Realität nicht gerecht.


Die Sache mit der Offenheit

"Agil werden" ist also definitiv nicht nur eine Frage der Methode und der Technik. Man spricht gerade deshalb auch vom "agilen Mindset". Also von einer Haltung bzw. einer Einstellung, wenn man diese Begriffe hier synonym verwendet. "Agil werden" ist also immer eine Form der Veränderung. Auf der individuellen Ebene genauso wie auf Team- oder Organisationsebene.


Wir Menschen sind geprägt durch genetische Dispositionen und eine schier unendliche Summe an Lebenserfahrungen, die bereits im Mutterleib beginnen. Daraus entstehen gewisse Persönlichkeitsmerkmale. Diese gelten als dauerhaft und stabil. Sie entwickeln bzw. verändern sich teilweise über Lebensphasen, aber nicht über Nacht. Die Wissenschaft hat einige Theorien und Methoden zur Messung und Bestimmung derartiger Merkmale entwickelt. Im Zusammenhang von "Veränderungen hin zu Agilität" möchte ich auf ein spezifisches derartiges Merkmal eingehen:


Das Persönlichkeitsmerkmal "Offenheit für Erfahrungen" scheint im Kontext von Veränderungen bzw. Veränderungsvorhaben eine zentrale Bedeutung zu haben. Wer eine hohe Offenheit besitzt, ist eher neugierig, an vielen (neuen) Dingen interessiert und denkt und handelt gerne unkonventionell. Menschen mit einer hohen Offenheit für Erfahrungen begegnen Veränderungen und komplexen Situationen und Herausforderungen von sich aus freudvoller und sind bereit, neue Erfahrungen zu machen - oder mindestens zu versuchen. Diesen Menschen wird es vermutlich deutlich einfacher fallen, agilen Frameworks Leben einzuhauchen als Menschen, die aufgrund ihres Persönlichkeitsmerkmals eher weniger offen sind.


"Offen werden" kann man kaum. Aber Veränderungsbereitschaft unterstützen schon.


Aus meiner Sicht müssen wir verstehen, dass Persönlicheitsmerkmale nicht direkt veränderbar sind. Wenn Menschen im sozialen Zusammenleben (privat und beruflich) verstehen und akzeptieren, dass Menschen nun einmal "so sind, wie sie sind", wird schon mal Vieles einfacher. Wir versuchen dann nicht mehr, andere auf "Biegen und Brechen" verändern zu wollen. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen sich nicht entwickeln können. Der Umgang mit Persönlichkeitsmerkmalen ist lern- und entwickelbar. Zudem haben alle menschlichen Eigenschaften immer zwei Seiten (siehe auch hier: Das Grundprinzip der Polarität). Jedes Persönlichkeitsmerkmal muss demnach auch positive Seiten aufweisen. Man kann sich auch diesen zuwenden...


Was begünstigt nun aber die Entwicklung eines agilen Mindsets bzw. eine Veränderungsbereitschaft im Allgemeinen? Die Positive Psychologie als Wissenschaft (und andere wissenschaftliche Konzepte) liefert dazu einige spannende und wirkungsvolle Ansätze. So könnte Veränderungsbereitschaft - und damit auch die Entwicklung hin zu einem agileren Mindset beispielsweise unterstützt werden durch:


  1. Entwicklung der Fähigkeit, die eigenen Emotionen besser regulieren zu können. In vielen Fällen geht es darum, positive Emotionen und Affekte erzeugen und trainieren zu können. An dieser Fähigkeit hängt Vieles dran: Beispielsweise mehr Optimismus und Resilienz. Die Orientierung am Gelingenden, am Guten und Funktionierenden anstatt an Defiziten, Schwächen und Problemen kann schon mal einiges dazu beitragen. Gerade in diesem Zusammenhang sind auch Führungskräfte gefragt, die sich diesen Themen annehmen.

  2. Das bewusste Entwickeln gemeinsamer Werte der Zusammenarbeit. Und damit ist nicht nur das Niederschreiben von allgemeingültigen Wertebegriffen gemeint. Vielmehr geht es darum gemeinsam zu beschreiben, wie sich die definierten Werte im Alltag konkret zeigen. Gelebte Werte werden beobachtbar und erkennbar.

  3. Ein gemeinsames Entwickeln und Bestimmen von Zielvorstellungen. Gemeint sind hier aber nicht die ganz konkreten, nach klassischen Regeln formulierten Ziele, sondern eben Zielvorstellungen ("Zielbilder") zu denen die Menschen im Team "ja" sagen können. Ein inneres, gefühltes "Ja!" ist viel mehr wert als die Lippenbekenntnis zu einem niedergeschriebenen "smarten" Ziel.

  4. Ein hervorragendes Modell zur Teamentwicklung und Entwicklung der Veränderungsbereitschaft ist die "Zürcher Teampyramide". Ich finde sie besonders wertvoll, weil deren Konzept auf der Idee der psychologischen Sicherheit und auf den uns allen innewohnenden vier Grundbedürfnissen nach Klaus Grawe basiert. Wer mehr dazu wissen möchte: In diesem YouTube Video habe ich dies etwas genauer erläutert.




Meine Erfahrungen: Was passiert, wenn die Menschen bei Veränderungsvorhaben "vergessen" gehen.


In Unternehmen und Teams, die sich auf den Weg zu Agilität machen, passieren oft die gleichen Dinge: Es wird festgestellt, dass die Fluktuation steigt. Oder dass Kurzabsenzen deutlich zunehmen. Vorläufer dieser Probleme sind häufig beobachtbare Symptome in der Motivation Einzelner oder in einer Veränderung der Grundstimmung des Teams oder einzelner Teammitglieder. Ich kann nur dazu raten, bei Veränderungs- und Transformationsvorhaben parallel zur Entwicklung und Implementierung von Frameworks, Methoden und neuen Strukturen auch in die Entwicklung der Menschen zu investieren.


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